2021: Volker Krolzik

von | Dez 5, 2021 | Allgemein

Der Comenius-Preis 2021 wurde verliehen am 30.10.2021 an Herrn Diakon Pfarrer Volker Krolzik in Würdigung seines sozialpädagogischen Lebenswerks.

Hier lesen Sie die Laudatio, geschrieben von unserem Gründer Rainer Winkel: pdf-Datei

Auszug aus der Ansprache des Preisträgers 2021

Den Johann-Amos-Comenius-Preis 2021 nehme ich mit Freude und großer Dankbarkeit entgegen.
Und gleichzeitig empfinde ich eine gewisse Scheu oder Befangenheit – und eine tiefe Demut. Das will ich gerne erklären:

Die Scheu bezieht sich auf die großen Namen und bedeutenden Persönlichkeiten, die mit diesem Preis verbunden sind.

Da ist zunächst der Namensgeber des Preises und der Stiftung: Johann Amos Comenius. Er war der europäische Universalgelehrte des 17. Jahrhunderts, dessen philosophisches, theologisches, pädagogisches und literarisches Wirken auch 400 Jahre später weder an Bedeutung noch an Aktualität verloren hat. Die Stiftung trägt ja seinen Namen, weil Rainer Winkel und Andere davon überzeugt waren und sind, dass die Pädagogik des Comenius auch im 21. Jahrhundert fortschrittlich und wegweisend ist. Sie nimmt die Kinder und jungen Menschen als eigenständige Persönlichkeiten ganzheitlich in den Blick, unterstützt und fördert ihre individuellen Gaben und Ressourcen, eröffnet diesen den weiten Raum freiheitlicher Entfaltung – und lehrt die Kinder und Jugendlichen gleichzeitig, allem Lebenden liebe- und achtungsvoll zu begegnen. Comenius‘ pädagogisches Handeln war darauf ausgerichtet, die Lust junger Menschen an Wissen und Erkenntnis zu wecken und zu fördern.

Die zweite bedeutende Persönlichkeit, mit der dieser Preis verbunden ist, war dessen Stifter Prof. Dr. Rainer Winkel. Er war fasziniert von dem großen Pädagogen Comenius und verstand sein pädagogisches Handeln, Forschen und Lehren in dessen Tradition.

Liebe Frau Winkel, der von Ihrem Mann gestiftete Comeniuspreis ist mir Ehre – und Ansporn, mich weiterhin für gute und gerechte Lebensverhältnisse sowie die Förderung und freie Entfaltung von Kindern und Jugendlichen einzusetzen.

Wenn ich eingangs von Scheu sprach, so bezog sich das auch auf die bisherigen Preisträger, unter denen so bedeutende Namen wie Jakob Muth, Hans-Jochen Gamm, Wolfgang Klafki, Wolfgang Huber, Georg Sterzinsky, Josef Reding, Simon Rattle und Hildegard Hamm-Brücher sind. Besonders verbunden fühle ich mich mit der Arbeit von Maria Bünk und dem Kinder-Palliativ-Netzwerk Essen, die den Comenius-Preis 2017 erhielten. Gemeinsam ist allen Preisträgern der Wunsch, jungen Menschen zu dienen, damit sie in Würde leben können.

Den Comenius-Preis 2021 nehme ich in großer Demut entgegen, denn mir ist zutiefst bewusst, dass an dem so gewürdigten Lebenswerk viele Andere großen Anteil haben. Ich hatte und habe das große Glück, von Persönlichkeiten erzogen, gebildet und gefördert, begleitet und unterstützt worden zu sein, die mein Leben wesentlich geprägt und an seiner Entwicklung maßgeblich Anteil haben. Nur wenige von ihnen kann ich in dieser Stunde ausdrücklich benennen:

Meine Eltern waren einfache Menschen, deren Biografie von der Barbarei des Zweiten Weltkriegs und dem Verlust von Heimat, Sicherheit und körperlicher Unversehrtheit bis zuletzt belastet war. Umso mehr bin ich ihnen dankbar, dass sie meinen Geschwistern und mir ein hoffnungsvolles, fröhliches Christsein vorgelebt haben, dass von Zuversicht und Gottvertrauen, Achtung und Menschenliebe sowie zivilgesellschaftlichem Engagement geprägt war. Da sie selbst im Krieg alle materiellen Güter verloren hatten, legten sie in der Erziehung ihrer Kinder besonderen Wert auf die Vermittlung immaterieller Werte: solide humanistische Bildung, Freude an Kunst und Musik, Kritikfähigkeit und Verwurzelung im Glauben. Ihr Vertrauen hat meinen Geschwistern und mir die Freiheit eröffnet, schon früh Verantwortung in der christlichen Kinder- und Jugendarbeit und darüber hinaus zu übernehmen.

Ich bin meinen älteren Geschwistern dankbar, die mich das Umgehen mit dieser Freiheit gelehrt und mich auf den Wegen begleitet haben. Später hatte ich Lehrerinnen und Lehrer, Praxisanleiter, Hochschullehrende sowie Kolleginnen und Kollegen, die meine Gaben gefördert und mich unterstützt haben.

In den Hochschulstudien der Sozialen Arbeit, diakonischen Theologie und der Diakoniewissenschaften in Hamburg und Bethel lernte ich Sozialwissenschaften und Recht, Theologie und Ökonomie zusammen- und in verantwortungsvolles Führungshandeln einzubringen. Eine Supervisionsausbildung hat das Methoden-Repertoire erweitert und die Beratungskompetenz gestärkt.

In meinem sozialpädagogischen Denken hat mich besonders Andreas Mehringer aus München geprägt, der mich schon früh in die Redaktion der Fachzeitschrift „Unsere Jugend“ holte. „Jede heilende Beziehung beginnt mit dem Anschauen,“ habe ich von ihm gelernt.

Was haben wir denn einzubringen in unser pädagogisches Handeln? Es ist doch vor allem die eigene Persönlichkeit – mit ihren Begabungen und Grenzen, Erfahrungen und Reflexionen, Überzeugungen, Hoffnungen und Zweifeln. Und immer geht es um Begegnung und Beziehung. „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“, stellte Martin Buber mit Recht fest. Und so bin ich an den verschiedenen Stationen meines beruflichen Weges vielen Personen begegnet, die mich herausgefordert und gefördert, unterstützt und begleitet, beglückt oder auch belastet und manchmal geärgert haben. Menschen, die mir neue Erkenntnisse ermöglicht und auf mein Leben Einfluss genommen haben. Welch ein Glück!

Das gilt für alle beruflichen Stationen: Von den ersten beiden Jahren in einem Kinderdorfwerk – über mehr als 15 Jahre in der Adoptions- und Pflegekinderarbeit der rheinischen Diakonie und der Diakonie Deutschland. Es gilt für die gut 11 Jahre als Konviktmeister des Rauhen Hauses – in der Hochschul- und Bildungsarbeit und der Diakonischen Gemeinschaft. Und es gilt in besonderer Weise für die fast 12 Jahre, die ich jetzt hier in Herrnhut mit wunderbaren Menschen zusammenlebe und –arbeite. Diese Erfahrungen haben mich und mein Handeln in je eigener Weise geprägt. Dafür bin ich den Kolleginnen und Kollegen, Netzwerkpartnern und Wegbegleitern und den Menschen, denen unser Dienst gilt, von Herzen dankbar. Ganz besonders wertvoll sind mir die Freundschaften, die aus diesen Weggenossenschaften erwachsen sind.

Mit den Aufgaben und den Anstellungsträgern wechselten die Berufsbezeichnungen: Sozialpädagoge, Sozialarbeiter, Geschäftsführer, Dozent, Konviktmeister, Vorstand … Sie gehören zu mir. Meine Identität beschreiben freilich zwei andere Aspekte:

Am Reformationstag 1982 wurde ich als Diakon Jesu Christi in das eine Amt der Kirche berufen und eingesegnet. In der Nachfolge Jesu bemühe ich mich, den Menschen – und ganz besonders den kleinen und denen, die es gerade schwer haben – zu dienen. Seit der Ordination vor 39 Jahren lebe ich in einer verbindlichen Diakonischen Gemeinschaft, die mir hilft, dieser Berufung treu zu bleiben. Auch als Pfarrer und Seelsorger.Das ist Wurzel und Grund meines pädagogischen und theologischen Handelns und stellt ein wesentliches Kontinuum meines Lebens dar.

Und das andere Kontinuum, das mir Stabilität und Kraft, Annahme, Geborgenheit und Mut gibt, ist meine Familie, für die ich zutiefst dankbar bin. Meine Kinder Daniel, Nicolai und Janina sowie ihre Mutter haben wesentlichen Anteil an meiner Entwicklung. Meine Frau Angelika ist seit 19 Jahren meine wichtigste Vertraute, Begleiterin, Beraterin – und manchmal auch das notwendige Korrektiv. Die Herausforderungen des Dienstes trägt sie tapfer mit. Und gemeinsam haben wir uns auf das inklusive Gemeinwesen eingelassen, in dem wir seit zwölf Jahren gerne leben. Ich bin so froh, dass ich meine Frau und meine Familie habe, die auch Angelikas Tochter Anna einschließt!

Zu den wichtigen Wegbegleitern, Anregern und Förderern gehören zahlreiche treue Freunde.
Und nicht zuletzt haben die Führungskräfte der Herrnhuter Diakonie wesentlichen Anteil an dem, was heute mein „sozialpädagogisches Lebenswerk“ genannt wird. Es macht Freude, mit diesen Kolleginnen und Kollegen Diakonie zu gestalten! Dafür danke ich dem Leitungskreis und all den Menschen, die in der Herrnhuter Diakonie leben, lernen und arbeiten von Herzen. Die gelebte Gemeinschaft erlebe ich als beglückend. Sie hat ihren Grund in der Erfahrung, gemeinsam „Diakoniefälle Gottes“ zu sein. Täglich neu lässt Gott uns seine Liebe und Barmherzigkeit erfahren. Sie sind der Motor unseres diakonischen Handelns.

So nehme ich den Comeniuspreis 2021 dankbar und mit Demut und etwas Scheu sowie großer Freude entgegen und widme ihn den Menschen, die sich mit mir für Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Frieden einsetzen – dafür, dass auch die jungen Menschen der nächsten und übernächsten Generation frei, würdevoll und gut leben können.

Ganz im Sinne des Johann Amos Comenius, der uns auffordert:
„Wir müssen ohne Vorbehalt danach streben, dass die Freiheit zum Menschengeschlecht zurückkehrt, die Freiheit des Denkens, die religiöse und die bürgerliche Freiheit. Freiheit, beteuere ich, ist der prächtigste Besitz, mit dem Menschen geschaffen. … Führen wir also den Menschen, soweit es irgend möglich ist, zur Freiheit!“

Und dabei lässt Comenius keine Exklusivansprüche oder Ausgrenzungen zu. Alle werden gebraucht:
„Wir wollen, dass alle, die über Frömmigkeit, Sitten, Wissenschaften und Künste erklärend geschrieben haben, angehört werden ohne Rücksicht darauf, ob einer Christ oder Mohammedaner, Jude oder Heide sei und welcher Religion auch immer er angehört, alt oder modern, Doktor oder Rabbi, jede Kirche, Synode und Vereinigung.Dies raten wir, weil das, was wir erarbeiten, eine Schatzkammer der gesamten Weisheit ist, die das Menschengeschlecht gemeinsam besitzen soll.Es ist also recht, dass alle begabten Köpfe, alle Völker, Religionen und Zeitalter beitragspflichtig sind.“

Handeln wir danach, damit die völkischen Nationalisten, die mit ihren dummen und gefährlichen Ausgrenzungsparolen wieder Resonanz finden, nicht zum Erfolg kommen! Und ringen wir weiterhin im Sinne des Comenius und in der Nachfolge Jesu um heilvolle Wege für kommende Generationen:

In allem Notwendigen ganz und gar Einigkeit halten, in den weniger notwendigen Stücken Freiheit gewähren, in allen Stücken gegenüber jedermann Liebe walten lassen.“